Eine kurze Geschichte aus dem Leben des indischen Freiheitskämpfers Mahatma Gandhi hat mich berührt.

Er erzählt: „Ich war fünfzehn Jahre alt, als ich einen Diebstahl beging. Weil ich Schulden hatte, stahl ich meinem Vater ein goldenes Armband, um diese Schulden zu bezahlen. Aber ich konnte die Last meiner Schuld nicht ertragen. Als ich vor ihm stand, brachte ich vor Scham den Mund nicht auf. Ich schrieb also mein Bekenntnis nieder. Als ich den Zettel überreichte, zitterte ich am ganzen Körper. Mein Vater las den Zettel, schloss die Augen, und dann – zerriss er ihn. ´Es ist gut´, sagte er. Danach nahm er mich in die Arme. Von da an hatte ich meinen Vater noch viel lieber.“

Mich beeindruckt, dass der Sohn sich nicht herausredet oder die Sache verschweigt, sondern er hat den Mut, seine Schuld zu gestehen. Dieser Mut, die eigene Unzulänglichkeit zu gestehen, führt letztendlich zu einer vertieften tollen Erfahrung mit dem Vater. Er erfährt das, was Jesus dem Gelähmten in Matthäus 9,2 zusagt: „Sei getrost, mein Kind, deine Sünden sind dir vergeben.“

Und der Vater reagiert weder mit Vorwürfen noch mit Anschuldigungen, Androhungen oder gar Liebesentzug. Er zeigt mit seinem barmherzigen Verhalten, wie sehr er seinen Sohn liebhat. Wer diese Liebe und Barmherzigkeit selbst erleben durfte, dem fällt es vielleicht auch etwas leichter, seinem Mitbruder oder seiner Mitschwester liebevoll mit Annahme nach dem Vorbild des Vaters zu begegnen.

„So lasst uns nun miteinander barmherzig sein, einander Luft zum Atmen geben, Raum und Zeit, einander achten und einander Schuld verzeihn. Dazu hilft uns der Vater der Barmherzigkeit.“ (Manfred Siebald im Refrain des gleichnamigen Liedes)

Eure Sylvia Rinklake